Herr von Reventlow, Sie arbeiten derzeit mit an der Entwicklung eines Haushaltsroboters an der TU München. Was macht diese Aufgabe spannend?
Von Reventlow: Der Roboter muss verstehen, was die Absicht der Menschen ist. Er lernt, zu interpretieren. Er registriert zum Beispiel den wütenden Ton eines Menschen und weiß dadurch: dass, was ich gerade mache, ist falsch. Dadurch wird er zum persönlichen Assistenten. Man muss sich den zukünftigen Roboter nicht wie einen Staubsaugroboter vorstellen. Er wird eine Art Mitbewohner.
Wird er auch die Form eines Menschen haben?
Von Reventlow: Nein! Wir haben dazu intensiv geforscht. Keine der heutigen Roboter-Formen erzeugt eine positive Empfehlungsrate (Net Promoter Score). Wir haben 47 verschiedene Designs von Science-Fiction-Movies bis hin zu Pepper getestet. Der beste NPS war bei plus 11 Prozent. Das zeigt: Die Frage, wie Roboter aussehen sollen, ist noch nicht geklärt.
Herr Thesen, wie muss ein Haushaltsroboter denn aussehen?
Thesen: Am Human Factor Lab in Darmstadt haben wir in diesem Zusammenhang an diesem Thema gearbeitet. In Japan werden Roboter überwiegend humanoid gestaltet. Sie bekommen große Augen und lächeln, damit sie aussehen wie Kinder. Dies hat mit der Kultur des Landes zu tun hat, die in der japanischen Technologie-Adaption ein große Rolle spielt.
In unserem Kulturkreis ist eine solche Gestaltung allerdings ein fataler Fehler. Die Menschen wollen keinen Mitbewohner in ihrem Haushalt, der mit Ihnen verwechselbar ist. Das würde Faktoren wie Intimität und Privatsphäre auflösen und zu Konflikten führen. Der Mensch will mit einer Maschine interagieren, die auch aussieht wie eine Maschine und ihm nicht vorgaukelt, so zu sein wie er. Der Irrglaube, Roboter müssten menschenähnlich aussehen, stammt aus Science-Fiction-Movies.
Philipp Thesen
Von Reventlow: Eine der Grunderwartungen künftiger Generationen ist: Volle Kontrolle über die eigenen Daten. Ich habe in Gesprächen mit Jugendlichen gesagt: Google und Facebook wissen doch ohnehin alles über Euch. Darauf haben die Jugendlichen geantwortet: Nein, Google und Facebook wissen alles über DICH: Weil: Du bist die Google- und Facebook-Generation. Wir benutzen das nicht.
Sondern? Wie kommunizieren diese Jugendlichen?
Von Reventlow: Die setzen ihre eigenen Tools ein. Zum Beispiel Snapchat. Und sie gehen davon aus, dass alles vergessen ist, was sie gepostet haben. Das entspricht zwar nicht den Tatsachen, aber das Verhalten zeigt, dass diese Jugendlichen eine andere Einstellung zu diesem Thema entwickeln. Menschen werden künftig kontrollieren wollen, was ihr digitaler Zwilling ihrem jeweiligen Gegenüber von ihnen darstellt. Das ist in Summe ein ungelöstes Problem.
Schon heute kann ich über Kryptosysteme und Login-Anbieter meine Daten schützen und verwalten.
Thesen: Kennen Sie jeden Account, mit dem Sie sich in den letzten zehn Jahren registriert haben? Aber Passwörter sind ja nur die oberste Ebene von User Exerience. Wenn wir den Digital Twin weiterdenken, dann könnte er die Datenbasis sein für personalisierte Erlebnisse, gerade wenn virtuelle und analoge Welt miteinander verschmelzen. Das wird das gesamte Logbuch aller Experiences, Präferenzen und Interaktionen.
Also das gesamte Erleben und Verhalten eines Menschen in einem psychologischen Feinmodell?
Thesen: Ja. Das Lebensarchiv in der Interaktion mit der digitalen Welt – aber unter der Kontrolle des Users und nicht in der Hand von amerikanischen Konzernen.Aber die Handhabung dieses Archivs muss einfach sein und auf eine Art und Weise geschehen, wie ich es als Mensch haben will. Schon heute stellen wir uns die Frage, welche Marke der Kühlschrank bestellt, wenn er merkt, dass der Joghurt alle ist.
Von Reventlow: Jetzt sind wir genau beim Thema AI+UX. Die AI erkennt Muster, nach denen Aktionen ausgelöst werden. Die AI lernt meine Muster, nach denen ich mein Leben gestaltet haben möchte. Als Mensch muss ich ihr sinnvollerweise Bescheid geben können, was ich will. Und die AI muss als Software sicher vor fremden Einflüssen sein. Sonst bezahlt im harmlosen Fall ein Unternehmen dafür, dass der Joghurt von Marke A kommt und nicht von Marke B.
Das Dashboard zwischen Mensch und Digitalem Zwilling, die UX, ist also die Herausforderung für das Design?
Von Reventlow: Diese Frage ist unbeantwortet. Aber sie drängt. Der Großteil der Bevölkerung besteht nicht aus Software-Programmierern. Menschen werden keine komplexen Settings in komplexen Menüs bedienen wollen und können.
Thesen: Muss es überhaupt ein Dashboard geben? Das muss kein grafisches User-Interface sein.
Philipp Thesen
Sie plädieren für eine Datensouveränität des Menschen und bringen dessen digitalen Zwilling auf die Formel Personal Intelligence = Artificial Intelligence + User Experience, also PI = AI + UX. Ist das nicht eigentlich eine Binsenweisheit?
Von Reventlow: Alle Dinge, die funktionieren, sind einfach. Wenn es nicht einfach ist, funktioniert es nicht. Dinge müssen benutzbar sein. Bis dato ist die AI zentral kontrolliert worden. Google ist die AI. Google kontrolliert die Antworten, je nachdem, wer was zahlt.
Thesen: Bei unsere Formel geht um nichts weniger als um die Humanisierung der Künstlichen Intelligenz. Sie muss für den Menschen zugänglich, leicht erlernbar, anwendbar und gestaltbar sein. Die Technologie muss für den Menschen so ausgestaltet werden, dass er sie als tolerant, geduldig, warmherzig und empathisch empfindet. Die Künstliche Intelligenz kann die Grundlage für ein neues, anderes und besseres Leben sein. Aber sie muss uns dienen und nicht beherrschen. Es muss klar sein: Der Hund darf den Halter nicht beißen, sonst wird der Stecker gezogen. Der Mensch hat in Jahrtausenden gelernt, dass er sich die Welt untertan macht und nicht umgekehrt. Und alle Erfindungen des Menschens waren in seiner langen Technikgeschichte immer eine Verlängerung seines eigenen Körpers und seiner eigenen Fertigkeiten. Am Ende jeder technologischen Entwicklung stand immer ein Werkzeug, das seine Kraft gehebelt hat und intelligente Lösungen seiner alltäglichen Probleme bereithielt. Technologie muss sich deshalb, wenn sie auf den Märkten langfristig erfolgreich sein will, wieder auf den Menschen besinnen.
Sie zielen also auf nichts weniger als eine Neudefinition der Machtverhältnisse im digitalen Bereich?
Von Reventlow: Ja.
Thesen: Wir plädieren für eine Demokratisierung der Daten-Hoheit. Das ist nicht nur ein europäisches Problem, auch in den USA steigt die Sensibilität nach dem Cambrigde-Skandal. Und es ist ein politisches Versagen, dass die Menschen ihre Daten nicht mehr besitzen.
Philipp Thesen
In Deutschland haben die Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Tatsächlich fordert niemand dieses Recht ein, weil die Bequemlichkeit stärker wirkt als das Bewusstsein der Tatsache, ausgenutzt zu werden.
Thesen: Menschen wollen Einfachheit in der Benutzung von Produkten und Diensten und das ist in Ordnung. Es ist aber die Aufgabe des Designs, zu verdeutlichen und aufrichtig zu gestalten, was der Preis dafür ist. Das ist ein ähnliche Phänomen wie bei den Robotern: Aufrichtige Gestaltung bedeutet: Die Interaktion findet mit einer Maschine statt und nicht mit einem Kind mit großen Augen. Der Preis, den Menschen heute für ihre Bequemlichkeit zahlen, ist verborgen. Ihn über die UX ans Licht zu bringen, ist Aufgabe des Designs. Aufrichtige Gestaltung achtet den Menschen in seiner Gesamtheit und zeigt ihm die Folgen seines Verhaltens. Die UX macht das Individuum zum freien Menschen, zum souverän handelnden Bürger.
Daniel Ekdahl, der Gründer von Spotify, sagt, die Menschen zahlen jetzt nicht mehr für den Zugang zur Musik, sondern sie zahlen aus Gewohnheit und Bequemlichkeit heraus.
Von Reventlow: Bequemlichkeit ist tatsächlich ein wesentlicher Treiber für Menschen. Wahrscheinlich sind 90 Prozent aller Kaufentscheidungen Bequemlichkeits- und Sicherheits-Entscheidungen. Wenn mir die AI Alternativen aufzeigen würde, dann würden vielleicht nicht alle Menschen diese Alternativen nutzen, aber sie hätten zumindest mehr Freiheit.
Facebook und Google Brain forschen mit GANs, Generative Adversarial Networks. Das heißt: Da laufen KIs gegeneinander. Vor wenigen Wochen wurde ein Gemälde versteigert, das von einer KI gemalt worden ist. Der Grund, warum man dieses Gemälde für besonders erachtet hat, war: Eine andere KI hat es nicht mehr als nicht-menschlich erkannt. KI kontrolliert KI – wo bleibt da der Mensch?
Thesen: Kunst definiert sich auch darüber, neue, nicht-lineare Aspekte einzubringen. Nicht-lineare Algorithmen bringen überraschende Ergebnisse. Das ist nichts Besonderes mehr. Aber die Überraschung geschieht in der Kunst nur im Kontext. Das ist der fundamentale Unterschied zum Handeln eines Menschen. Im entsprechenden Moment Kreativität zu entwickeln, Witz, eine Pointe, etwas Überraschendes, das kann nur der Mensch. Die Kontextualisierung bleibt etwas zutiefst Menschliches. Deshalb ist der Begriff UX zwischen AI und PI so wichtig. Diese Formel zeigt, wie Unternehmen Dienste, Angebote, Produkte und Erlebnisse herstellen müssen, um nicht vom Menschen als stumpf wahrgenommen zu werden. Schließlich werden Unternehmen personalisierte Angebote schaffen müssen, um relevant zu sein. Das mag eine Binsenweisheit sein – aber viele Unternehmen sind noch weit davon entfernt, diese sehr einfache Formel in ihrer Organisation zu realisieren.
Für die Zukunft des Marketings heißt das: Der Konsument erhält ein individualisiertes Produkt zu einem individuellen Preis. Das ist das Ende der Demokratie.
Von Reventlow: Einerseits geht es um die Optimierung der Lebensweise. Die andere Frage ist: Wer hat die Souveränität? Heute sind es Großkonzerne, nicht der Bürger. Jetzt, in der Frühphase der AI, besteht noch die Gelegenheit, die Weichen zu stellen.
Für die Zukunft des Marketings heißt das: Der Konsument erhält ein individualisiertes Produkt zu einem individuellen Preis. Das ist das Ende der Demokratie.
Von Reventlow: Einerseits geht es um die Optimierung der Lebensweise. Die andere Frage ist: Wer hat die Souveränität? Heute sind es Großkonzerne, nicht der Bürger. Jetzt, in der Frühphase der AI, besteht noch die Gelegenheit, die Weichen zu stellen.
Die Werbung treibende Industrie hat jedenfalls ein existenzielles Interesse daran, Daten von third party cookies nutzen zu können.
Thesen: Der souveräne Mensch kann seine Daten ja verkaufen. Das macht er heute auch schon. Nur: Er merkt es nicht. Das ist das grundsätzliche Problem: Den Menschen ist nicht bewusst, was ihre Daten wert sind. Wir brauchen ein neues Ökonomie-Paradigma.
Von Reventlow: Grundsätzlich möchte ich, dass meine Bedürfnisse optimal befriedigt werden. Wenn es die werbungtreibende Industrie schafft, eine Schnittstelle zu bilden, die der Konsument einfach bedienen kann, dann wird er das auch nutzen. Was ist der Unterschied zwischen Spam und einer sinnvollen E-Mail? In beiden Fällen bietet jemand Informationen an. Sinnvoll ist die E-Mail, wenn ihre Informationen auf mein Interessenraster passen. Spam empfinde ich als überflüssig, weil die Informationen nicht auf meine momentanen Bedürfnisse und Interessen einzahlen und mir damit Zeit rauben. Der Unterschied ist einfach und logisch. Die Werbung treibende Industrie will sinnvolle E-Mails verschicken und kein Spam.
Es ist schließlich auch ein Trugschluss, zu glauben, dass jeder Mensch an seinen digitalen Briefkasten das Schild „Bitte keine Werbung“ pappen würde. In Wahrheit würde das Schild lauten: „Bitte keine nervige Werbung“.
Von Reventlow: Damit können wir die Diskussion eine Ebene höher bringen. Im Grunde geht es darum, eine vernünftige Kommunikationsebene zwischen den Werbenden und den Beworbenen zu schaffen, so dass der Rezipient mehr sinnvolle Informationen in seinem Briefkasten hat.
Thesen: Als meine Tochter in der zweiten Klasse war, wollten wir das Einmaleins üben. Meine Frau hat deshalb bei Amazon ein Einmaleins-Quartett bestellt. Seit diesem Tag erhalten wir wöchentlich DIN-A4-Umschläge mit Materialien, weil die werbungtreibende Industrie denkt, meine Frau sei Lehrerin. Das ist absurd. Bei der Bestellung hat niemand meiner Frau mitgeteilt, dass ihre Informationen an Verlage weitergegeben werden. Es ist völlige Ressourcen-Verschwendung und dazu noch belästigend. Wie viele Bäume sind gestorben, weil irgendjemand denkt, meine Frau sei Lehrerin? Gäbe es einen digitalen Twin, gäbe es ein Langloch-Button, der nach rechts geschoben wird, und das Problem wäre gelöst.
Interview mit Philipp Thesen und Christian von Reventlow
Erschienen in w&v 1/2019. Text: Rolf Schröter
Herr von Reventlow, Sie arbeiten derzeit mit an der Entwicklung eines Haushaltsroboters an der TU München. Was macht diese Aufgabe spannend?
Von Reventlow: Der Roboter muss verstehen, was die Absicht der Menschen ist. Er lernt, zu interpretieren. Er registriert zum Beispiel den wütenden Ton eines Menschen und weiß dadurch: dass, was ich gerade mache, ist falsch. Dadurch wird er zum persönlichen Assistenten. Man muss sich den zukünftigen Roboter nicht wie einen Staubsaugroboter vorstellen. Er wird eine Art Mitbewohner.
Wird er auch die Form eines Menschen haben?
Von Reventlow: Nein! Wir haben dazu intensiv geforscht. Keine der heutigen Roboter-Formen erzeugt eine positive Empfehlungsrate (Net Promoter Score). Wir haben 47 verschiedene Designs von Science-Fiction-Movies bis hin zu Pepper getestet. Der beste NPS war bei plus 11 Prozent. Das zeigt: Die Frage, wie Roboter aussehen sollen, ist noch nicht geklärt.
Herr Thesen, wie muss ein Haushaltsroboter denn aussehen?
Thesen: Am Human Factor Lab in Darmstadt haben wir in diesem Zusammenhang an diesem Thema gearbeitet. In Japan werden Roboter überwiegend humanoid gestaltet. Sie bekommen große Augen und lächeln, damit sie aussehen wie Kinder. Dies hat mit der Kultur des Landes zu tun hat, die in der japanischen Technologie-Adaption ein große Rolle spielt.
In unserem Kulturkreis ist eine solche Gestaltung allerdings ein fataler Fehler. Die Menschen wollen keinen Mitbewohner in ihrem Haushalt, der mit Ihnen verwechselbar ist. Das würde Faktoren wie Intimität und Privatsphäre auflösen und zu Konflikten führen. Der Mensch will mit einer Maschine interagieren, die auch aussieht wie eine Maschine und ihm nicht vorgaukelt, so zu sein wie er. Der Irrglaube, Roboter müssten menschenähnlich aussehen, stammt aus Science-Fiction-Movies.
Philipp Thesen
Von Reventlow: Eine der Grunderwartungen künftiger Generationen ist: Volle Kontrolle über die eigenen Daten. Ich habe in Gesprächen mit Jugendlichen gesagt: Google und Facebook wissen doch ohnehin alles über Euch. Darauf haben die Jugendlichen geantwortet: Nein, Google und Facebook wissen alles über DICH: Weil: Du bist die Google- und Facebook-Generation. Wir benutzen das nicht.
Sondern? Wie kommunizieren diese Jugendlichen?
Von Reventlow: Die setzen ihre eigenen Tools ein. Zum Beispiel Snapchat. Und sie gehen davon aus, dass alles vergessen ist, was sie gepostet haben. Das entspricht zwar nicht den Tatsachen, aber das Verhalten zeigt, dass diese Jugendlichen eine andere Einstellung zu diesem Thema entwickeln. Menschen werden künftig kontrollieren wollen, was ihr digitaler Zwilling ihrem jeweiligen Gegenüber von ihnen darstellt. Das ist in Summe ein ungelöstes Problem.
Schon heute kann ich über Kryptosysteme und Login-Anbieter meine Daten schützen und verwalten.
Thesen: Kennen Sie jeden Account, mit dem Sie sich in den letzten zehn Jahren registriert haben? Aber Passwörter sind ja nur die oberste Ebene von User Exerience. Wenn wir den Digital Twin weiterdenken, dann könnte er die Datenbasis sein für personalisierte Erlebnisse, gerade wenn virtuelle und analoge Welt miteinander verschmelzen. Das wird das gesamte Logbuch aller Experiences, Präferenzen und Interaktionen.
Also das gesamte Erleben und Verhalten eines Menschen in einem psychologischen Feinmodell?
Thesen: Ja. Das Lebensarchiv in der Interaktion mit der digitalen Welt – aber unter der Kontrolle des Users und nicht in der Hand von amerikanischen Konzernen.Aber die Handhabung dieses Archivs muss einfach sein und auf eine Art und Weise geschehen, wie ich es als Mensch haben will. Schon heute stellen wir uns die Frage, welche Marke der Kühlschrank bestellt, wenn er merkt, dass der Joghurt alle ist.
Von Reventlow: Jetzt sind wir genau beim Thema AI+UX. Die AI erkennt Muster, nach denen Aktionen ausgelöst werden. Die AI lernt meine Muster, nach denen ich mein Leben gestaltet haben möchte. Als Mensch muss ich ihr sinnvollerweise Bescheid geben können, was ich will. Und die AI muss als Software sicher vor fremden Einflüssen sein. Sonst bezahlt im harmlosen Fall ein Unternehmen dafür, dass der Joghurt von Marke A kommt und nicht von Marke B.
Das Dashboard zwischen Mensch und Digitalem Zwilling, die UX, ist also die Herausforderung für das Design?
Von Reventlow: Diese Frage ist unbeantwortet. Aber sie drängt. Der Großteil der Bevölkerung besteht nicht aus Software-Programmierern. Menschen werden keine komplexen Settings in komplexen Menüs bedienen wollen und können.
Thesen: Muss es überhaupt ein Dashboard geben? Das muss kein grafisches User-Interface sein.
Philipp Thesen
Sie plädieren für eine Datensouveränität des Menschen und bringen dessen digitalen Zwilling auf die Formel Personal Intelligence = Artificial Intelligence + User Experience, also PI = AI + UX. Ist das nicht eigentlich eine Binsenweisheit?
Von Reventlow: Alle Dinge, die funktionieren, sind einfach. Wenn es nicht einfach ist, funktioniert es nicht. Dinge müssen benutzbar sein. Bis dato ist die AI zentral kontrolliert worden. Google ist die AI. Google kontrolliert die Antworten, je nachdem, wer was zahlt.
Thesen: Bei unsere Formel geht um nichts weniger als um die Humanisierung der Künstlichen Intelligenz. Sie muss für den Menschen zugänglich, leicht erlernbar, anwendbar und gestaltbar sein. Die Technologie muss für den Menschen so ausgestaltet werden, dass er sie als tolerant, geduldig, warmherzig und empathisch empfindet. Die Künstliche Intelligenz kann die Grundlage für ein neues, anderes und besseres Leben sein. Aber sie muss uns dienen und nicht beherrschen. Es muss klar sein: Der Hund darf den Halter nicht beißen, sonst wird der Stecker gezogen. Der Mensch hat in Jahrtausenden gelernt, dass er sich die Welt untertan macht und nicht umgekehrt. Und alle Erfindungen des Menschens waren in seiner langen Technikgeschichte immer eine Verlängerung seines eigenen Körpers und seiner eigenen Fertigkeiten. Am Ende jeder technologischen Entwicklung stand immer ein Werkzeug, das seine Kraft gehebelt hat und intelligente Lösungen seiner alltäglichen Probleme bereithielt. Technologie muss sich deshalb, wenn sie auf den Märkten langfristig erfolgreich sein will, wieder auf den Menschen besinnen.
Sie zielen also auf nichts weniger als eine Neudefinition der Machtverhältnisse im digitalen Bereich?
Von Reventlow: Ja.
Thesen: Wir plädieren für eine Demokratisierung der Daten-Hoheit. Das ist nicht nur ein europäisches Problem, auch in den USA steigt die Sensibilität nach dem Cambrigde-Skandal. Und es ist ein politisches Versagen, dass die Menschen ihre Daten nicht mehr besitzen.
Philipp Thesen
In Deutschland haben die Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Tatsächlich fordert niemand dieses Recht ein, weil die Bequemlichkeit stärker wirkt als das Bewusstsein der Tatsache, ausgenutzt zu werden.
Thesen: Menschen wollen Einfachheit in der Benutzung von Produkten und Diensten und das ist in Ordnung. Es ist aber die Aufgabe des Designs, zu verdeutlichen und aufrichtig zu gestalten, was der Preis dafür ist. Das ist ein ähnliche Phänomen wie bei den Robotern: Aufrichtige Gestaltung bedeutet: Die Interaktion findet mit einer Maschine statt und nicht mit einem Kind mit großen Augen. Der Preis, den Menschen heute für ihre Bequemlichkeit zahlen, ist verborgen. Ihn über die UX ans Licht zu bringen, ist Aufgabe des Designs. Aufrichtige Gestaltung achtet den Menschen in seiner Gesamtheit und zeigt ihm die Folgen seines Verhaltens. Die UX macht das Individuum zum freien Menschen, zum souverän handelnden Bürger.
Daniel Ekdahl, der Gründer von Spotify, sagt, die Menschen zahlen jetzt nicht mehr für den Zugang zur Musik, sondern sie zahlen aus Gewohnheit und Bequemlichkeit heraus.
Von Reventlow: Bequemlichkeit ist tatsächlich ein wesentlicher Treiber für Menschen. Wahrscheinlich sind 90 Prozent aller Kaufentscheidungen Bequemlichkeits- und Sicherheits-Entscheidungen. Wenn mir die AI Alternativen aufzeigen würde, dann würden vielleicht nicht alle Menschen diese Alternativen nutzen, aber sie hätten zumindest mehr Freiheit.
Facebook und Google Brain forschen mit GANs, Generative Adversarial Networks. Das heißt: Da laufen KIs gegeneinander. Vor wenigen Wochen wurde ein Gemälde versteigert, das von einer KI gemalt worden ist. Der Grund, warum man dieses Gemälde für besonders erachtet hat, war: Eine andere KI hat es nicht mehr als nicht-menschlich erkannt. KI kontrolliert KI – wo bleibt da der Mensch?
Thesen: Kunst definiert sich auch darüber, neue, nicht-lineare Aspekte einzubringen. Nicht-lineare Algorithmen bringen überraschende Ergebnisse. Das ist nichts Besonderes mehr. Aber die Überraschung geschieht in der Kunst nur im Kontext. Das ist der fundamentale Unterschied zum Handeln eines Menschen. Im entsprechenden Moment Kreativität zu entwickeln, Witz, eine Pointe, etwas Überraschendes, das kann nur der Mensch. Die Kontextualisierung bleibt etwas zutiefst Menschliches. Deshalb ist der Begriff UX zwischen AI und PI so wichtig. Diese Formel zeigt, wie Unternehmen Dienste, Angebote, Produkte und Erlebnisse herstellen müssen, um nicht vom Menschen als stumpf wahrgenommen zu werden. Schließlich werden Unternehmen personalisierte Angebote schaffen müssen, um relevant zu sein. Das mag eine Binsenweisheit sein – aber viele Unternehmen sind noch weit davon entfernt, diese sehr einfache Formel in ihrer Organisation zu realisieren.
Für die Zukunft des Marketings heißt das: Der Konsument erhält ein individualisiertes Produkt zu einem individuellen Preis. Das ist das Ende der Demokratie.
Von Reventlow: Einerseits geht es um die Optimierung der Lebensweise. Die andere Frage ist: Wer hat die Souveränität? Heute sind es Großkonzerne, nicht der Bürger. Jetzt, in der Frühphase der AI, besteht noch die Gelegenheit, die Weichen zu stellen.
Für die Zukunft des Marketings heißt das: Der Konsument erhält ein individualisiertes Produkt zu einem individuellen Preis. Das ist das Ende der Demokratie.
Von Reventlow: Einerseits geht es um die Optimierung der Lebensweise. Die andere Frage ist: Wer hat die Souveränität? Heute sind es Großkonzerne, nicht der Bürger. Jetzt, in der Frühphase der AI, besteht noch die Gelegenheit, die Weichen zu stellen.
Die Werbung treibende Industrie hat jedenfalls ein existenzielles Interesse daran, Daten von third party cookies nutzen zu können.
Thesen: Der souveräne Mensch kann seine Daten ja verkaufen. Das macht er heute auch schon. Nur: Er merkt es nicht. Das ist das grundsätzliche Problem: Den Menschen ist nicht bewusst, was ihre Daten wert sind. Wir brauchen ein neues Ökonomie-Paradigma.
Von Reventlow: Grundsätzlich möchte ich, dass meine Bedürfnisse optimal befriedigt werden. Wenn es die werbungtreibende Industrie schafft, eine Schnittstelle zu bilden, die der Konsument einfach bedienen kann, dann wird er das auch nutzen. Was ist der Unterschied zwischen Spam und einer sinnvollen E-Mail? In beiden Fällen bietet jemand Informationen an. Sinnvoll ist die E-Mail, wenn ihre Informationen auf mein Interessenraster passen. Spam empfinde ich als überflüssig, weil die Informationen nicht auf meine momentanen Bedürfnisse und Interessen einzahlen und mir damit Zeit rauben. Der Unterschied ist einfach und logisch. Die Werbung treibende Industrie will sinnvolle E-Mails verschicken und kein Spam.
Es ist schließlich auch ein Trugschluss, zu glauben, dass jeder Mensch an seinen digitalen Briefkasten das Schild „Bitte keine Werbung“ pappen würde. In Wahrheit würde das Schild lauten: „Bitte keine nervige Werbung“.
Von Reventlow: Damit können wir die Diskussion eine Ebene höher bringen. Im Grunde geht es darum, eine vernünftige Kommunikationsebene zwischen den Werbenden und den Beworbenen zu schaffen, so dass der Rezipient mehr sinnvolle Informationen in seinem Briefkasten hat.
Thesen: Als meine Tochter in der zweiten Klasse war, wollten wir das Einmaleins üben. Meine Frau hat deshalb bei Amazon ein Einmaleins-Quartett bestellt. Seit diesem Tag erhalten wir wöchentlich DIN-A4-Umschläge mit Materialien, weil die werbungtreibende Industrie denkt, meine Frau sei Lehrerin. Das ist absurd. Bei der Bestellung hat niemand meiner Frau mitgeteilt, dass ihre Informationen an Verlage weitergegeben werden. Es ist völlige Ressourcen-Verschwendung und dazu noch belästigend. Wie viele Bäume sind gestorben, weil irgendjemand denkt, meine Frau sei Lehrerin? Gäbe es einen digitalen Twin, gäbe es ein Langloch-Button, der nach rechts geschoben wird, und das Problem wäre gelöst.
Interview mit Philipp Thesen und Christian von Reventlow
Erschienen in w&v 1/2019. Text: Rolf Schröter
Philipp Thesen bietet Beratung zu Design und Strategie, Innovation und digitaler Veränderung an. Bei Interesse an einer Zusammenarbeit nehmen Sie gerne Kontakt auf:
Mail: office@philippthesen.com
Nach oben ↑
Philipp Thesen bietet Beratung zu Design und Strategie, Innovation und digitaler Veränderung an. Bei Interesse an einer Zusammenarbeit nehmen Sie gerne Kontakt auf:
Mail: office@philippthesen.com
Nach oben ↑