Herr Thesen, die Ära der Sprachsteuerung bricht an. Künstliche Intelligenz schafft neue Produkte und macht sie raffinierter. Was bedeutet das für die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine?
Philipp Thesen: Das Design bestimmt das Verhältnis des Menschen zu seinen Dingen. Je weiter sich der Designer von der Welt der physischen Produkte entfernt, desto stärker braucht er eine neue Art des Denkens. Das Design ist unentbehrlich für das systematische Management der Customer Experience. Es geht längst nicht mehr nur um Produktdesign, sondern um die Gestaltung von kompletten Business-Ökosystemen.
Design als Thinktank für neue Geschäftsmodelle?
Digitale Services stellen Geschäftsmodelle immer infrage. Aber schauen wir auf die Historie des Unternehmens: Ganz früher hat die Deutsche Telekom Endgeräte bei Siemens gekauft. Sprachübertragung war der USP der Telekom. Aber auf dem Gerät, das der Kunde in seiner Hand hielt, stand nur Siemens. Eine andere Marke. Nach dieser Ära des Nicht-Designs entstand die Rolle des Designs als Formgeber für eigene Produkte. Als internes Team, das Grundlagen der Customer-Experience geschaffen und alle Kernelemente des digitalen und physischen Designs ganzheitlich entwickelt hat. Unter meiner Führung haben wir das Design auf der Prozessebene von der Konzeption bis zur Produktion etabliert. Design-Thinking war dafür das trojanische Pferd. Heute haben wir Zugang zum Kunden, interpretieren ihn und machen selbst Vorschläge für Produkte. Aber mein Ziel ist es, Design als strategisches Instrument einzusetzen.
Strategie heißt: Das Design wäre auch dem Marketing vorgelagert?
Lassen wir das Denken in Organisationsformen mal beiseite. Versetzen wir uns in den Kunden. Durch die Digitalisierung er lebt der Kunde horizontal, was im Konzern in Silos vertikal in einzelnen Bereichen er stellt wird. überall, wo diese Anschlussstellen sind, gibt es häufig Probleme. Das sind Painpoints aus Sicht des Konsumenten. Der Kunde muss die Marke nahtlos erleben: Kommunikation, Produkte, Produktinbetriebnahme, Nutzung, Servicefall, Vertragsverlängerung – das ist alles eins. Es braucht eine Instanz, die führt.
Sie wollen also mehr Macht im Konzern?
Darum geht es nicht . Das kann auch über vernetzte Schwarmintelligenz funktionieren, anstatt des alten autoritären Führungssystems. Aber das Design stiftet durch Übersetzung von Technologie in nachhaltige Kundenerlebnisse Sinn für den Konsumenten und ist damit ein fundamentaler Bestandteil für den Unternehmenserfolg von morgen. Wir unterschätzen, dass der Kunde durch die Digitalisierung die Marke ganz unmittelbar erlebt. Wir fangen an, Design als Vermittler zwischen Technik und Mensch einzusetzen und damit Anforderungen an die IT zu gestalten. Wenn wir über Robotik und künstliche Intelligenz sprechen, dann hat das Design die Verantwortung, für die Humanisierung der Technologie zu sorgen.
Humanisierung ist ein großes Wort. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Mittlerweile beeinflussen Algorithmen das Verhalten des Menschen. Der Mensch passt sich der Maschine an.
Das ist eine Schonhaltung. Wie jemand, der nach einem Bandscheibenvorfall eine schmerzmindernde Position einnimmt und nach einigen Wochen merkt, dass der gesamte Körper leidet. Die Technik muss dem Menschen dienen. Deshalb muss man den Menschen zunächst einmal kennenlernen. Dafür nehmen sich viele Unternehmen nicht die Zeit.
Und wie lernen Sie als Designer den Menschen kennen?
Die Grundfrage lautet: Für wen ist das Produkt? Die Antwort lautet häufig: Für alle. Logisch. Denn je größer der Business-Case ist, umso mehr Budget steht zur Verfügung. Es gibt aber keine Produkte, die gut sind für alle. Deshalb haben wir konzernweit Personas eingeführt. Aus Telekom-Marktforschungsdaten haben wir 16 Konsumenten-Grundtypen destilliert. Damit können wir sehen, wie hoch das Marktpotenzial ist. Und es kam heraus, dass viele der bestehenden Produkte nur in bestimmten Zielgruppen eine hohe Relevanz haben.
Diese Personas zu identifizieren ist das eine. Aber wie nutzen Sie diese Clusterung für Ihre Arbeit?
Über neue Formate. Wir laden zum Beispiel hundert Kunden ein. Da sitzen viele Haralds und Antonias. Jede Persona hat einen Namen von uns erhalten. In der letzten Reihe sitzt das Topmanagement. Und vorne zeigen die Designer Schaummodelle und digitale Prototypen. Die Persona-Vertreter stimmen dann ab, welches Produkt sie haben möchten.
Neue Produkte müssen nicht immer anfassbar sein. Google, Facebook & Co. haben gezeigt, dass gerade immaterielle Produkte einen hohen Nutzwert haben können. Im Vordergrund der Entwicklung steht dabei immer nur das technisch Mögliche. Brauchen wir Grundregeln für menschliches Design?
Absolut. Das Silicon-Valley-Design macht das, was geht. Aber nicht immer das, was für den Menschen sinnvoll ist. Design ist der Sinngeber einer technischen Entwicklung.
Dabei hat der legendäre frühere Braun Chefdesigner Dieter Rams bereits in den späten 70er- Jahren zehn Thesen für gutes Design aufgestellt.
Und die gelten nach wie vor. Rams forderte einen verantwortungsvollen Umgang mit technischen Möglichkeiten. Mit Apple kam eine Renaissance der Arbeit von Dieter Rams. Aber zunächst nur auf einer Zitier-Ebene. Apples Chefdesigner Jonathan Ive hat Rams formalästhetisch aufgenommen. Er hat zum Beispiel den Taschenrechner von Rams' Mitarbeiter Dietrich Lubs auf das iPhone übertragen. Das war erst einmal nur Dekor, Oberfläche. Erst später hat es eine eigene Interpretation der Prinzipien im digitalen Kontext gegeben.
Mag sein. Aber schließlich müssen Anwendungen auch gefallen. Die Branche arbeitet derzeit an der Ausgestaltung von Sprachsteuerung. Wie sehr beeinflusst das Marketing diese Entwicklung?
Bei der Telekom gibt es einen zentralen Innovationsbereich, der Produkte vorschlägt. Design ist ein Teil davon. Ob und wie das vermarktet wird, entscheiden die Vertriebsorganisationen der Länder. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass die länderspezifischen Marketingabteilungen ihre regionalen Kunden am besten kennen. Wir entwickeln Produkte, und das Marketing sagt, ob es diese Produkte haben will. Aber Tatsache ist: Das Design von Sprachsteuerung wird in der Telekommunikation künftig die Beziehung zum Konsumenten viel stärker beeinflussen und formen als das Poster am Hamburger Flughafen.
Was meinen Sie damit?
Die Frage lautet doch aus Kundensicht: Wenn Google für das Wissen der Welt steht, wofür steht dann eigentlich die Deutsche Telekom? Diese Frage muss meines Erachtens im Kundenerlebnis beantwortet werden. Manche sagen, die Telekom habe keine Produkte, deshalb müsse man die Marke im Kopf des Konsumenten aufladen. Das stimmt nur zum Teil. Wir haben Produkte wie Telefone und eine IP-TV-Box. Außerdem gibt es eine Vielzahl digitaler Dienste wie Smart Home, E-Mail oder ein umfangreiches Kundencenter, mit denen der Kunde seine Verträge sehen und selbst verwalten kann. Vor allem aber geht es um die Art und Weise, wie der Kunde das Angebot der Telekom nutzt. Allein die Frage, wie künftig ein Voice-Interface mit dem Konsumenten spricht: Ist sie freundlich oder sachlich, ist sie männlich oder weiblich? Das sind alles Design-Fragen.
Wir sprechen gerade über den Stellenwert der Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, also des Interface-Designs. Geht es dabei um die Frage der Kaufentscheidung oder um die Markenbildung?
Die Kaufentscheidung ist stark geprägt von der Attraktivität der Hardware. Der Mensch will anfassen, fühlen und berühren. Für die Beziehungsbildung zwischen Marke und Konsument ist die Customer-Experience weitaus wichtiger: Wie ist mein Vertrag gestaltet, wie sehe ich, wie viel Datenvolumen ich diesen Monat verbraucht habe, bin ich überall bestens vernetzt? Der Mensch will Einfachheit.
Sie haben vorhin über Painpoints gesprochen, also Stolpersteine auf der Customer- Journey, die den Kunden leiden lassen. Wie finden Sie überhaupt diese Knackpunkte?
Eine der Methoden, die wir konzernweit eingeführt haben, ist das Customer-Journey Mapping. Anhand von Smileys stellen wir gute und schlechte Nutzererfahrungen dar. Da wir die Experience entlang aller Berührungspunkte gestalten, die der Kunde hat, heißt es: priorisieren. Da, wo die traurigsten Smileys sind, müssen wir zuerst ran. In der gesamten Telco-Industrie besteht so viel Handlungsbedarf, dass man sich allein dadurch positiv abheben kann, dass man seine Hausaufgaben macht. Wenn alleine das Kauferlebnis sauber funktioniert, ist das schon Einfachheit und damit Differenzierung.
Die Customer-Journey ist auch das bestimmende Thema in Gesprächen mit Marketern. Machen Sie etwa das Gleiche wie Ihre Kollegen aus dem Marketing?
Vom Grundsatz her ist es so: Der Designer betrachtet die Customer-Experience und der Marketer die Customer-Journey. Marketing ist zu einem Großteil Kommunikation; Design gestaltet das Erleben mit dem Produkt. Im Idealfall geht das Hand in Hand. Dann werden die Werbekampagnen und Marketingaktivitäten auf die Personas abgestimmt, für die auch die Produkte entwickelt worden sind. Und mit diesen Personas werden auch der Service und die Mitarbeiter im Shop geschult. Wir haben Design als Methode demokratisiert – auch über unsere Schulungen in der Design-Academy. Jeder im Unternehmen kann mit den Personas arbeiten.
Geht es im Kern darum, eine gemeinsame Sprache für so unterschiedliche Spezialisten wie IT- Mitarbeiter, Marketer und Designer zu entwickeln?
Ja. Das Design hat dabei eine moderierende Rolle. Es ist nicht nur Anwalt des Kunden, sondern auch Dolmetscher im Unternehmen. Deshalb ist die Disziplin so wichtig für die digitaleTransformation von großen Organisationen. Design is a matter of culture.
Sie haben sogar ein Buch über Design Thinking für die Telekom-Mitarbeiter geschrieben. Hand aufs Herz: Wer liest das wirklich?
Das war ein großer Erfolg. Der Auslöser war, dass Tim Höttges (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG) zuvor mit 60 Top-Managern nach Stanford gefahren ist, um Design-Thinking zu lernen. Danach war der Informationsbedarf im Unternehmen riesig.
Gab es Design-Thinking eigentlich nicht schon immer?
Ja und nein. Ab den späten 90er-Jahren stieg die Zahl der Produkte und Devices explosiv an. Das Fertigen von Hardware war so billig geworden, dass wir mit Devices überschwemmt worden sind. Das hat sich abgenutzt. Für den Designer ist das eine fundamentale Veränderung. Er hinterlässt keine Ikonen mehr, die für immer bleiben. So wie die Möbel von Charles Eames, die in Privaträumen, Museen und Katalogen verewigt sind. Heute gestaltet ein Designer die Beta-Version der nächsten Beta-Version. Design ist mittlerweile ein agiles Navigieren im liquiden Environment. Das heroische Zeitalter ist endgültig vorbei.
Klingt nach Sinnkrise.
Neues entsteht immer aus Zerstörung; daraus, dass man Altes überwirft. Das ist nicht für jeden leicht nachvollziehbar. Design ist heute nicht mehr nur Handwerk, sondern in erster Linie Denkwerk. Die Grenze zwischen User-Interface-Design und Programmierung existiert bereits nicht mehr. Frontend-Developer und User-Interface-Designer – das ist heute das gleiche Berufsbild. Wir brauchen Menschen, die zwischen den Disziplinen wandeln können, die starke handwerkliche Fähigkeiten haben, aber gleichzeitig strategi sches Know-how. Nehmen wir einfach das oberste Gebot beim Design-Thinking. Es lautet: Identifiziere überhaupt erst einmal das Problem. Sonst entwickelst du eine Lösung für irgendwas – ohne das eigentliche Problem erkannt zu haben.
Interview erschienen in w&v 22/2017
Text: Rolf Schröter. Fotos: Marina Weigl
Herr Thesen, die Ära der Sprachsteuerung bricht an. Künstliche Intelligenz schafft neue Produkte und macht sie raffinierter. Was bedeutet das für die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine?
Philipp Thesen: Das Design bestimmt das Verhältnis des Menschen zu seinen Dingen. Je weiter sich der Designer von der Welt der physischen Produkte entfernt, desto stärker braucht er eine neue Art des Denkens. Das Design ist unentbehrlich für das systematische Management der Customer Experience. Es geht längst nicht mehr nur um Produktdesign, sondern um die Gestaltung von kompletten Business-Ökosystemen.
Design als Thinktank für neue Geschäftsmodelle?
Digitale Services stellen Geschäftsmodelle immer infrage. Aber schauen wir auf die Historie des Unternehmens: Ganz früher hat die Deutsche Telekom Endgeräte bei Siemens gekauft. Sprachübertragung war der USP der Telekom. Aber auf dem Gerät, das der Kunde in seiner Hand hielt, stand nur Siemens. Eine andere Marke. Nach dieser Ära des Nicht-Designs entstand die Rolle des Designs als Formgeber für eigene Produkte. Als internes Team, das Grundlagen der Customer-Experience geschaffen und alle Kernelemente des digitalen und physischen Designs ganzheitlich entwickelt hat. Unter meiner Führung haben wir das Design auf der Prozessebene von der Konzeption bis zur Produktion etabliert. Design-Thinking war dafür das trojanische Pferd. Heute haben wir Zugang zum Kunden, interpretieren ihn und machen selbst Vorschläge für Produkte. Aber mein Ziel ist es, Design als strategisches Instrument einzusetzen.
Strategie heißt: Das Design wäre auch dem Marketing vorgelagert?
Lassen wir das Denken in Organisationsformen mal beiseite. Versetzen wir uns in den Kunden. Durch die Digitalisierung er lebt der Kunde horizontal, was im Konzern in Silos vertikal in einzelnen Bereichen er stellt wird. überall, wo diese Anschlussstellen sind, gibt es häufig Probleme. Das sind Painpoints aus Sicht des Konsumenten. Der Kunde muss die Marke nahtlos erleben: Kommunikation, Produkte, Produktinbetriebnahme, Nutzung, Servicefall, Vertragsverlängerung – das ist alles eins. Es braucht eine Instanz, die führt.
Sie wollen also mehr Macht im Konzern?
Darum geht es nicht . Das kann auch über vernetzte Schwarmintelligenz funktionieren, anstatt des alten autoritären Führungssystems. Aber das Design stiftet durch Übersetzung von Technologie in nachhaltige Kundenerlebnisse Sinn für den Konsumenten und ist damit ein fundamentaler Bestandteil für den Unternehmenserfolg von morgen. Wir unterschätzen, dass der Kunde durch die Digitalisierung die Marke ganz unmittelbar erlebt. Wir fangen an, Design als Vermittler zwischen Technik und Mensch einzusetzen und damit Anforderungen an die IT zu gestalten. Wenn wir über Robotik und künstliche Intelligenz sprechen, dann hat das Design die Verantwortung, für die Humanisierung der Technologie zu sorgen.
Humanisierung ist ein großes Wort. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Mittlerweile beeinflussen Algorithmen das Verhalten des Menschen. Der Mensch passt sich der Maschine an.
Das ist eine Schonhaltung. Wie jemand, der nach einem Bandscheibenvorfall eine schmerzmindernde Position einnimmt und nach einigen Wochen merkt, dass der gesamte Körper leidet. Die Technik muss dem Menschen dienen. Deshalb muss man den Menschen zunächst einmal kennenlernen. Dafür nehmen sich viele Unternehmen nicht die Zeit.
Und wie lernen Sie als Designer den Menschen kennen?
Die Grundfrage lautet: Für wen ist das Produkt? Die Antwort lautet häufig: Für alle. Logisch. Denn je größer der Business-Case ist, umso mehr Budget steht zur Verfügung. Es gibt aber keine Produkte, die gut sind für alle. Deshalb haben wir konzernweit Personas eingeführt. Aus Telekom-Marktforschungsdaten haben wir 16 Konsumenten-Grundtypen destilliert. Damit können wir sehen, wie hoch das Marktpotenzial ist. Und es kam heraus, dass viele der bestehenden Produkte nur in bestimmten Zielgruppen eine hohe Relevanz haben.
Diese Personas zu identifizieren ist das eine. Aber wie nutzen Sie diese Clusterung für Ihre Arbeit?
Über neue Formate. Wir laden zum Beispiel hundert Kunden ein. Da sitzen viele Haralds und Antonias. Jede Persona hat einen Namen von uns erhalten. In der letzten Reihe sitzt das Topmanagement. Und vorne zeigen die Designer Schaummodelle und digitale Prototypen. Die Persona-Vertreter stimmen dann ab, welches Produkt sie haben möchten.
Neue Produkte müssen nicht immer anfassbar sein. Google, Facebook & Co. haben gezeigt, dass gerade immaterielle Produkte einen hohen Nutzwert haben können. Im Vordergrund der Entwicklung steht dabei immer nur das technisch Mögliche. Brauchen wir Grundregeln für menschliches Design?
Absolut. Das Silicon-Valley-Design macht das, was geht. Aber nicht immer das, was für den Menschen sinnvoll ist. Design ist der Sinngeber einer technischen Entwicklung.
Dabei hat der legendäre frühere Braun Chefdesigner Dieter Rams bereits in den späten 70er- Jahren zehn Thesen für gutes Design aufgestellt.
Und die gelten nach wie vor. Rams forderte einen verantwortungsvollen Umgang mit technischen Möglichkeiten. Mit Apple kam eine Renaissance der Arbeit von Dieter Rams. Aber zunächst nur auf einer Zitier-Ebene. Apples Chefdesigner Jonathan Ive hat Rams formalästhetisch aufgenommen. Er hat zum Beispiel den Taschenrechner von Rams' Mitarbeiter Dietrich Lubs auf das iPhone übertragen. Das war erst einmal nur Dekor, Oberfläche. Erst später hat es eine eigene Interpretation der Prinzipien im digitalen Kontext gegeben.
Mag sein. Aber schließlich müssen Anwendungen auch gefallen. Die Branche arbeitet derzeit an der Ausgestaltung von Sprachsteuerung. Wie sehr beeinflusst das Marketing diese Entwicklung?
Bei der Telekom gibt es einen zentralen Innovationsbereich, der Produkte vorschlägt. Design ist ein Teil davon. Ob und wie das vermarktet wird, entscheiden die Vertriebsorganisationen der Länder. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass die länderspezifischen Marketingabteilungen ihre regionalen Kunden am besten kennen. Wir entwickeln Produkte, und das Marketing sagt, ob es diese Produkte haben will. Aber Tatsache ist: Das Design von Sprachsteuerung wird in der Telekommunikation künftig die Beziehung zum Konsumenten viel stärker beeinflussen und formen als das Poster am Hamburger Flughafen.
Was meinen Sie damit?
Die Frage lautet doch aus Kundensicht: Wenn Google für das Wissen der Welt steht, wofür steht dann eigentlich die Deutsche Telekom? Diese Frage muss meines Erachtens im Kundenerlebnis beantwortet werden. Manche sagen, die Telekom habe keine Produkte, deshalb müsse man die Marke im Kopf des Konsumenten aufladen. Das stimmt nur zum Teil. Wir haben Produkte wie Telefone und eine IP-TV-Box. Außerdem gibt es eine Vielzahl digitaler Dienste wie Smart Home, E-Mail oder ein umfangreiches Kundencenter, mit denen der Kunde seine Verträge sehen und selbst verwalten kann. Vor allem aber geht es um die Art und Weise, wie der Kunde das Angebot der Telekom nutzt. Allein die Frage, wie künftig ein Voice-Interface mit dem Konsumenten spricht: Ist sie freundlich oder sachlich, ist sie männlich oder weiblich? Das sind alles Design-Fragen.
Wir sprechen gerade über den Stellenwert der Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, also des Interface-Designs. Geht es dabei um die Frage der Kaufentscheidung oder um die Markenbildung?
Die Kaufentscheidung ist stark geprägt von der Attraktivität der Hardware. Der Mensch will anfassen, fühlen und berühren. Für die Beziehungsbildung zwischen Marke und Konsument ist die Customer-Experience weitaus wichtiger: Wie ist mein Vertrag gestaltet, wie sehe ich, wie viel Datenvolumen ich diesen Monat verbraucht habe, bin ich überall bestens vernetzt? Der Mensch will Einfachheit.
Sie haben vorhin über Painpoints gesprochen, also Stolpersteine auf der Customer- Journey, die den Kunden leiden lassen. Wie finden Sie überhaupt diese Knackpunkte?
Eine der Methoden, die wir konzernweit eingeführt haben, ist das Customer-Journey Mapping. Anhand von Smileys stellen wir gute und schlechte Nutzererfahrungen dar. Da wir die Experience entlang aller Berührungspunkte gestalten, die der Kunde hat, heißt es: priorisieren. Da, wo die traurigsten Smileys sind, müssen wir zuerst ran. In der gesamten Telco-Industrie besteht so viel Handlungsbedarf, dass man sich allein dadurch positiv abheben kann, dass man seine Hausaufgaben macht. Wenn alleine das Kauferlebnis sauber funktioniert, ist das schon Einfachheit und damit Differenzierung.
Die Customer-Journey ist auch das bestimmende Thema in Gesprächen mit Marketern. Machen Sie etwa das Gleiche wie Ihre Kollegen aus dem Marketing?
Vom Grundsatz her ist es so: Der Designer betrachtet die Customer-Experience und der Marketer die Customer-Journey. Marketing ist zu einem Großteil Kommunikation; Design gestaltet das Erleben mit dem Produkt. Im Idealfall geht das Hand in Hand. Dann werden die Werbekampagnen und Marketingaktivitäten auf die Personas abgestimmt, für die auch die Produkte entwickelt worden sind. Und mit diesen Personas werden auch der Service und die Mitarbeiter im Shop geschult. Wir haben Design als Methode demokratisiert – auch über unsere Schulungen in der Design-Academy. Jeder im Unternehmen kann mit den Personas arbeiten.
Geht es im Kern darum, eine gemeinsame Sprache für so unterschiedliche Spezialisten wie IT- Mitarbeiter, Marketer und Designer zu entwickeln?
Ja. Das Design hat dabei eine moderierende Rolle. Es ist nicht nur Anwalt des Kunden, sondern auch Dolmetscher im Unternehmen. Deshalb ist die Disziplin so wichtig für die digitaleTransformation von großen Organisationen. Design is a matter of culture.
Sie haben sogar ein Buch über Design Thinking für die Telekom-Mitarbeiter geschrieben. Hand aufs Herz: Wer liest das wirklich?
Das war ein großer Erfolg. Der Auslöser war, dass Tim Höttges (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG) zuvor mit 60 Top-Managern nach Stanford gefahren ist, um Design-Thinking zu lernen. Danach war der Informationsbedarf im Unternehmen riesig.
Gab es Design-Thinking eigentlich nicht schon immer?
Ja und nein. Ab den späten 90er-Jahren stieg die Zahl der Produkte und Devices explosiv an. Das Fertigen von Hardware war so billig geworden, dass wir mit Devices überschwemmt worden sind. Das hat sich abgenutzt. Für den Designer ist das eine fundamentale Veränderung. Er hinterlässt keine Ikonen mehr, die für immer bleiben. So wie die Möbel von Charles Eames, die in Privaträumen, Museen und Katalogen verewigt sind. Heute gestaltet ein Designer die Beta-Version der nächsten Beta-Version. Design ist mittlerweile ein agiles Navigieren im liquiden Environment. Das heroische Zeitalter ist endgültig vorbei.
Klingt nach Sinnkrise.
Neues entsteht immer aus Zerstörung; daraus, dass man Altes überwirft. Das ist nicht für jeden leicht nachvollziehbar. Design ist heute nicht mehr nur Handwerk, sondern in erster Linie Denkwerk. Die Grenze zwischen User-Interface-Design und Programmierung existiert bereits nicht mehr. Frontend-Developer und User-Interface-Designer – das ist heute das gleiche Berufsbild. Wir brauchen Menschen, die zwischen den Disziplinen wandeln können, die starke handwerkliche Fähigkeiten haben, aber gleichzeitig strategi sches Know-how. Nehmen wir einfach das oberste Gebot beim Design-Thinking. Es lautet: Identifiziere überhaupt erst einmal das Problem. Sonst entwickelst du eine Lösung für irgendwas – ohne das eigentliche Problem erkannt zu haben.
Interview erschienen in w&v 22/2017
Text: Rolf Schröter. Fotos: Marina Weigl
Philipp Thesen bietet Beratung zu Design und Strategie, Innovation und digitaler Veränderung an. Bei Interesse an einer Zusammenarbeit nehmen Sie gerne Kontakt auf:
Mail: office@philippthesen.com
Nach oben ↑
Philipp Thesen bietet Beratung zu Design und Strategie, Innovation und digitaler Veränderung an. Bei Interesse an einer Zusammenarbeit nehmen Sie gerne Kontakt auf:
Mail: office@philippthesen.com
Nach oben ↑